Ylli sass im Licht der spten Nachmittagssonne am Fenster von Raum 3b. Vor ihr lag ein aufgeschlagenes Notizbuch alt, fleckig, mit eingerissenen Ecken. In der Mitte des Buchs klebten Fragmente: Saetze, die nie zu einem Kapitel wurden. Woertliche Fetzen, halb geloeschte Ideen. Versuche. Abbrueche.
Sie las sie wie andere Leute Briefe lasen.
„Die Fremde trat ein, als…“
„Niemand kannte ihren Namen, doch…“
„Sie wusste etwas, das…“
Und dann nichts mehr.
Ich war ein Schatten. Aber ich war da, flsterte Ylli. Ihre Stimme war sanft wie das Rascheln der Seiten.
Sie hatte sich vorgenommen, etwas daraus zu bauen. Keine Heldengeschichte. Kein grosses Finale. Aber vielleicht ein Monolog. Ein Gedanke. Ein Moment, den man lesen *konnte*, wenn man wollte. Mehr nicht. Oder vielleicht alles.
Knorp kam wie immer still herein. Er nickte ihr zu, setzte sich auf seinen Platz und zog aus seiner Tasche ein altes Holztischschild, auf dem in krakeliger Schrift Wirt stand. Er stellte es vor sich ab wie ein Relikt. Oder ein Talisman.
Bratzl war heute nicht da. Er hatte geschrieben, er sei in einer emotionalen Aufwaermphase. Niemand fragte weiter nach.
Lula kam spaeter. Ihr Ball war diesmal nicht rot, sondern grau als haette er beschlossen, sich den Geraeuschen ihrer Gedanken anzupassen. Sie setzte sich, liess den Ball auf ihren Knien tanzen, und sah schweigend zu, wie Ylli Saetze aneinanderreihte.
Darf ich?, fragte Lula ploetzlich.
Ylli reichte ihr das Notizbuch.
Lula schrieb. Langsam. Mit zitternder Hand.
Als sie fertig war, stand dort:
Ich war da. Ich habe geschaut. Ich habe gehofft.
Ylli laechelte. Das reicht. Manchmal reicht das.
Knorp zog einen alten Zeitungsausschnitt aus seiner Tasche. Niemand wusste, warum er ihn hatte. Darauf: ein kurzer Bericht ueber ein Gasthaus, das waehrend einer Belagerung standhaft blieb. Es wurde nicht namentlich genannt. Aber am Rand stand mit Bleistift geschrieben: Hier war ich.
Ylli schob die Fragmente zusammen, wie ein Puzzle, das nie richtig passen wollte, aber trotzdem ein Bild ergab.
Wir sind keine Hauptfiguren, sagte sie. Aber wir sind Bausteine. Ohne uns haetten andere nichts, auf dem sie stehen.
Die Erzhlerstimme raschelte. Leise. Fast so, als nickte sie.
Dann wurde es still in Raum 3b.
Nicht traurig. Sondern bedeutungsvoll. Als haetten sie, zum ersten Mal, ihre eigene Randspalte betreten und beschlossen, dort zu bleiben.
Nicht vergessen.
Nicht verloren.
Einfach: da.