Die Selbsthilfegruppe der Anonymen Nebenfiguren traf sich jeden Dienstagabend in Raum 3b der Stadtbibliothek von Muggelbrueck einem Ort, der sogar im Katalog mit „ungefaehr vorhanden“ gelistet war.
Der Raum war schmal, riechend nach vergessenen Enzyklopaedien und muffigem Tee. An der Wand hing ein Plakat, das eigentlich fuer eine Lesung gedacht war, aber nie jemand abhingen hatte. Es zeigte einen Autor, der sehr ungluecklich in eine Fernsehkamera blickte.
Bratzl, ehemals Marktschreier Nummer 3 aus einem vergriffenen Abenteuerroman, stand wie immer zuerst am Fenster. Er war frueh dran. Er war immer frueh dran, weil seine Figur nie spaet kam. Damals nicht, und heute schon gar nicht. Er stellte einen Blecheimer mit Keksen auf den Tisch selbst gebacken, mit Rezepten aus Kapitel 4 eines nie veroefentlichten Kochbuchs.
Ylli trat ein, lautlos wie immer, in einen Umhang gehuellt, der geheimnisvoll sein wollte, aber eher nach Altkleider roch. Sie war einst eine mysterise Randfigur in einem Fantasyepos, das nie ueber Kapitel 12 hinauskam. Ihre Augen sagten: „Ich weiss mehr.“ Ihre Saetze sagten selten etwas.
Knorp folgte. Er oeffnete die Tuer mit derselben Bewegung, mit der er einst Helden ins Gasthaus geleitet hatte stumm, aber mit Haltung. Heute hatte er seinen Wirtsschurz abgelegt, trug aber noch immer den Geruch von Bier, Rauch und unerzaehlten Geschichten mit sich.
Lula kam als Letzte. Sie war klein, jung, und trug einen roten Ball, den sie seit ihrer Rueckblende in Band 1 nicht mehr losgelassen hatte. Manchmal sprach sie. Meist nicht. Heute nickte sie nur.
Der Kreis war vollstaendig.
Die Erzaehlerstimme knisterte leise im Hintergrund. Niemand wusste, ob sie ein echtes Mitglied war oder nur ein Ueberbleibsel aus frueheren Texten.
Bratzl holte tief Luft. Ich habe gehoert es wird ein neuer Roman geschrieben.
Ylli hob eine Augenbraue. Und?
Er soll sich um eine ehemalige Nebenfigur drehen.
Stille.
Knorp kratzte sich am Bart, als wollte er seine Existenz unterstreichen.
Und wenn…, begann Lula leise, …wenn es einer von uns ist?
Die Worte hingen im Raum wie ein halb ausgesprochener Gedanke. Ein Moeglichkeitsfunke inmitten literarischen Staubs.
Ylli verzog das Gesicht. Das waere neu. Figuren wie wir… wir enden in Randnotizen, nicht im Zentrum.
Vielleicht aendert sich was, sagte Bratzl. Vielleicht… beginnt etwas.
Die Erzaehlerstimme summte zustimmend.
Sie sprachen nicht weiter darueber. Aber keiner verliess den Raum, ohne sich innerlich einen ersten Satz auszudenken. Fuer den Fall der Faelle.
Der Abend endete mit Tee, zweifelhaftem Keks, und einem Funken Hoffnung.
Vielleicht war das der Anfang eines neuen Absatzes.