Leonhardt von Werwolf war verknallt. In einen anderen Kerl. Wäre an sich nicht schlimm gewesen und wäre von allen akzeptiert worden, wenn er denn kein von Werwolf gewesen wäre.
Denn von einem der Werwolfs erwartete man das nicht.
Das Geschlecht der Werwolfs war eines der ältesten in diesem Land. Sogar auf diesem Kontinent. Die Werwolfs brachte man mit vielerlei großartigen Taten in Verbindung. Sie waren Erfinder, Abenteurer und Entdecker. Manche von ihnen waren Künstler. Andere waren in der Politik tätig oder im Militär. Die Erstbezwingung des hohen Berges im Höchstgradenschlundt wurde von einem Werwolf durchgeführt. Johann Aberdinger von Werwolf. Ebenso die erste nächtliche Durchführung einer Gehirnoperation. Prof. Dr. Rübenkarl von Werwolf. Auch die Ausrichtung der jährlichen großen Kämpfe der vielwarzigen Monstrositäten wurden von den Werwolfs organisiert. Bis sie an ein anderes Volk verkauft wurden.
Die Werwolfs waren angesehen. Sie waren geachtet. Sie waren traditionsliebend und kultiviert. Und nun hatte sich Leonhardt in einen anderen Mann verliebt. Und er wusste, dass das nicht einfach so eine Sache war, die man mal nebenbei erwähnte. Er wollte es auch gar nicht nebenbei erwähnen. Er hatte lange mit sich gerungen, wusste jedoch, dass er der Wahrheit nicht entkommen konnte. Und er hoffte, dass sich seine Ehrlichkeit positiv auf das Urteil der Familienwärterin auswirken würde.
Er bat um Audienz bei Frau Augusta Kummersbach. Frau Augusta Kummersbach war die Familienwärterin und damit für das Ansehen der Familie verantwortlich. Hatte sich jemand in der Familie einen sozialen Faux-Pas erlaubt, war Frau Kummersbach da, um den Schaden in Grenzen zu halten. Sie schmierte die Berichterstatter der Boulevardpresse, die Staatsanwaltschaft und die Polizei. Und das konnte sie gut. Wer sich nicht schmieren lassen wollte, bekam andere Probleme.
Leonhardt bekam seine Audienz und schilderte sein Schicksal. Er erzählte von seiner Liebe zu einem anderen. Er erzählte von der Leidenschaft und Begierde. Er zog Vergleiche mit traditioneller Liebe und hoffte inständig auf Verständnis.
Frau Augusta Kummersbach war eine junge, hübsche Person. Sie wohnte außerhalb der Stadt in einem Landhaus mit ihrer Familie. Dort pflegte sie, ihre Besucher zu empfangen und deren Absichten zu beurteilen. Sie war ein Familienmensch. Ihr Junge spielte auf dem Boden, als sie Leonhardts Worten lauschte.
Nach seinen Ausführungen schmunzelte sie kurz. Dann verfinsterte sich ihr Blick. Sie stand auf und ging auf Leonhardt zu. Sie begann eine Rede darüber zu halten, wie die natürliche Definition der Liebe eine Liebe von Mann und Frau sei und wie die Öffnung der Liebe für alle die natürliche Liebe abwerten und sie schwächen würde. Man müsse nicht mit dem Akzeptieren einer solchen Liebe die Grundprinzipien der Solidargemeinschaft erneuern. Sie sprach in einer Art und Weise, die in Leohardt eine ganze Palette von Gefühlen auslöste. Trauer, Wut, Schmerz aber auch Mitleid. Leonhard hörte ihr wortlos zu. Dann schloss er die Augen.
Frau Augustas Kummersbach sah Leonhardt mit einem verachtenden Blick an. Zuerst. Dann wandelte sich der Blick in Panik, als Leonhardt blitzschnell seine spitzen Zähne in ihren Jungen rammte und ihn durch die Luft schleuderte. Wenn er schon nicht schwul sein durfte, dann fraß er eben ihr Junges. Obwohl – das hätte er wahrscheinlich auch so getan. Schließlich war er ein Werwolf.