Der Unsichtbarkeitsantrag

Aus dem Archiv des Amtes für Magische Ausnahmeregelungen, Bezirk Quasselwitz-Süd

Magie war auf Fnyll streng reguliert. Nicht, weil sie gefährlich war – das war sie natürlich –, sondern weil sie sich nicht an Formulare hielt. Und das war in Quasselwitz-Süd ein Kardinalverbrechen.

Herr Neblich, ein ausgesprochen durchschnittlicher Bürger mit einer Leidenschaft für muffige Aktenordner, hatte einen Traum: Er wollte unsichtbar sein.

Nicht aus Eitelkeit oder zur Spionage. Nein. Herr Neblich hasste Smalltalk. Und Supermarktgänge. Und Menschen, die beim Bus vordrängelten. Unsichtbarkeit versprach eine friedliche, diskrete Existenz.

Also stellte er einen Antrag: Formular 12-U „Bürgerliches Unsichtbarkeitsbegehren“. Siebzehn Seiten, acht Unterschriften, zwei Blutproben (eine von ihm, eine von einem legal beschafften Hühnchen).

Das Amt antwortete vier Wochen später. Es fehlte:
– Unterschrift eines anerkannten Magiers dritten Ranges
– Nachweis über ausreichende Haftpflichtversicherung
– Psychologische Eignungsprüfung

Neblich murmelte: „Man wird doch wohl unsichtbar sein dürfen, ohne gleich ein Studium der Arkaneinwirkung zu absolvieren.“

Doch er war beharrlich. Er besuchte den zertifizierten Magier Eustach von Bröckel, der in einer windschiefen Hütte lebte, weil alle seine Zauber eine räumliche Linksdrift verursachten.

„Ich unterschreib dir das“, sagte Eustach, „wenn du mir im Gegenzug hilfst, mein Wohnzimmer wieder in die Realität zurückzubefördern.“

Ein fairer Handel, dachte Neblich, nachdem er zwei Stunden lang gegen eine Wand gewunken hatte, bis das Sofa endlich wieder sichtbar war. Es roch nach Sardinen. Niemand wusste warum.

Formular komplett. Antrag genehmigt. Unsichtbarkeitszauber aktiviert.

Er war glücklich. Er konnte unbemerkt durch die Straßen gleiten, den Supermarkt besuchen, ohne einen Blick zu riskieren. Niemand sprach ihn an. Keiner trat ihm auf die Füße.

Nach drei Tagen wurde er depressiv.

Niemand grüßte. Kein einziges „Oh, Sie wieder!“ an der Brottheke. Und er vermisste die alte Dame mit dem übergroßen Hut, die im Bus immer zu laut über ihren Dackel sprach.

Nach einer Woche saß Herr Neblich wieder beim Amt.

„Ich… äh… würde gern das Formular für Sichtbarkeit beantragen.“

Der Sachbearbeiter seufzte. „13-V. Bitte achten Sie diesmal auf die Fußnote C – Sichtbarkeit umfasst keinen sozialen Kontakt. Dafür brauchen Sie das 13-S.“

„Das ist mir egal. Ich will einfach nur wieder gesehen werden.“

Er ging nach Hause, sichtbar. Und als der Nachbarsjunge ihm beim Hochtragen der Einkaufstüte zunickte, wusste Neblich, was Magie wirklich bedeutete.

Nicht Unsichtbarkeit. Nicht Macht.

Sondern ein kleines „Hallo“, wenn man es am wenigsten erwartet.

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